Prekärer denn je und schärfer als die Realität
Im Psychodrama nach Jakob Levy Moreno werde die Wahrheit der Seele durch Handeln erkundet. Die interpassive Position des Zusehenden bei Formaten des Reality TV ist eben kein Handeln und kennt nur zwei Haltungen: Man erkennt sich und Seinesgleichen wieder und sieht sich gespiegelt oder man stellt sich moralisch über das Gezeigte und grenzt sich ab. Die Art der Darstellung wird in jedem Fall nicht den ausgestellten Protagonisten gerecht, sie ist per se oberflächlich und selbstgefällig.
Girl to Guerilla befasst sich mit dem Format Reality TV um diesen Verhältnissen auf den Grund zu gehen und die Personen auszustellen, die für den ganzen Dreck verantwortlich sind – die Produzenten. Dabei schöpft das Kollektiv die Ästhetiken des Reality TV aus, ohne diese rein zu reproduzieren. Durch die Dekonstruktion und das Ausstellen der Produktionsebene lässt die immersive Performance tief in den Abgrund der Seele des Konsumenten blicken. Dabei wird das Publikum aus seiner interpassiven Haltung des Zusehens heraus geholt und muss sich zu der Person verhalten, die ihm gegenüber steht – mag das eine alleinerziehende Mutter oder der Produzent abgehalfterter Reality Formate sein.
Aufbauend auf der ersten Staffel 2015 in der sich die Familie Paulsen einem tyrannischen Vermieter gegenüber sah und am Ende der fortschreitenden Gentrifizierung weichen musste, entstand 2016 die zweite Staffel „Paulsens 2.0“. Diesmal ist die Familie Paulsen in einem schmierigen Produktionsstudio untergekommen und soll dort als populäre Fernsehfamilie vermarktet werden. Die Performance hat zwei Ebenen: Zwischen 12 Uhr und 20 Uhr kann man die Paulsens besuchen und wird Teil einer immersiven Installation. Ab 21 Uhr zeichnet die Familie inkl. komplettem Produktionsteam eine Sitcom vor Live-Publikum auf.
Wenn die klassische Familienaufstellung auf die Produktionsebene von Reality TV trifft, entsteht eine wilde Collage mit einer Vielzahl von narrativen Ebenen, die die Frage nach Realität ad absurdum führt und diese dadurch erst utopisch umdeutbar macht..
Genre | Emersives Theater |
Inszenierung | Diese Inszenierung wurde kollektivistisch inszeniert und durchgeführt – mit der aufopfernden und liebevollen Hilfe zahlreicher Statisten, Kameraleute, EinlasserInnen und vielen mehr – habt Dank, ihr Horden! |
Dauer | 96h |
Premiere | 12.05.-15.05.16 // Theater im Kino, Berlin |
Presse | Unruhe im Oberrang |
(c) | G2G |